Kennen Sie das? Endlich der langersehnte Ruhestand. Sie haben sich so gefreut, Pläne geschmiedet, mit Tagträumen die letzte harte Zeit der Berufstätigkeit hinter sich gebracht, alle Dinge, die Sie noch unbedingt erleben wollen, in die Zeit nach Erlangung des Rentenalters verlegt und sich immer wieder ausgemalt wie es sein wird, den Wecker einfach zu ignorieren.
Und nun das! Dem ersten Hochgefühl, von nun an immer Wochenende zu haben, ist schnell Ernüchterung gefolgt.
Jahrelanges Frühaufstehen hat dafür gesorgt, dass es mit dem langen Schlafen nicht so recht klappen will. Den Partner, mit dem man bisher nur temporär Zeit verbracht hat, sieht man nun häufiger und er stellt Ansprüche an den Umgang mit der neu gewonnenen Freizeit.
Zwei Phänomene sind nun zu beobachten: erstens, es wird Ihnen bewusst, dies ist der letzte Abschnitt ihres Lebens und aufschieben geht nicht mehr. All das, was Sie immer in den Ruhestand verschoben haben, baut sich vor Ihnen auf wie ein riesiger Berg und will abgearbeitet werden. Die vermeintlich unendliche Zeit, die der Ruhestand bereit hält, zerrinnt Ihnen zwischen den Fingern.
Zweitens: die Erwartung, dass der Ruhestand Sie zur Ruhe kommen lässt, wenn Sie erst einmal ein paar Wochen Freizeit genossen haben, der Rücken und andere Wehwehchen sich erholt haben, entpuppt sich als Trugschluss. Sie fühlen sich müde, antriebs- und lustlos. Dazu kommen Gedanken wie: „… wofür das alles? … ich will einfach meine Ruhe, … mich braucht eh keiner,“ und dann der uralt Spruch, den Sie nie sagen wollten: „Früher war alles besser.“
Im schlimmsten Fall geht es wie folgt weiter:
Die Zeit die Sie nun haben, wird zu Ihrem Feind. Dieser Feind baut sich drohend vor Ihnen auf und klagt Sie an: „Nutze mich, steh endlich auf und fang etwas mit mir an… du bist ja zu nichts mehr zu gebrauchen, wenn das so weiter geht, kannst du ja gleich sozialverträglich abtreten…“.
Sie sparen nicht mit anklagenden Boshaftigkeiten gegen sich selbst. Zu der schlechten Laune gesellt sich die Sorge aus diesem Tief nicht mehr hinauszukommen. Deprimiertheit, Angst, Besorgnis und Anspannung sind emotionale Befindlichkeiten, die immer mehr in ihr Leben drängen.
Wenn Sie darauf nicht reagieren, gesellen sich schnell körperliche Symptome dazu. Z.B. Ein- und Durchschlafstörungen, morgendliches Früherwachen mit Grübelzwang, Antriebslosigkeit, Appetitlosigkeit, Libidoverlust, bis hin zu Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Schwindel.
Zugegeben, das Szenario ist sehr schwarz gemalt und es gibt sicher viele Menschen, denen der Übergang, auch Transition genannt, leicht fällt und die nicht mit sogenannten Anpassungsstörungen reagieren. Die haben dann meist ein Ehrenamt, für das sie brennen, ein Hobby, dass Sie erfüllt oder eine Familie die sie fordert.
Denn ein Aspekt wird immer gerne vergessen: das Gefühl gebraucht zu werden.
Termine zu haben und unabkömmlich zu sein geben einem in unserer Leistungsgesellschaft das Gefühl, ein vollwertiges Mitglied der Gesellschafft zu sein.
Fallen diese Leitplanken des Alltags weg, erinnert man sich nicht mehr daran, dass man vor Erlangung des Ruhestands immer wieder Selbstgespräche der folgenden Art gehalten hat: „… ich habe der Gesellschaft genug gegeben, jetzt ist es Zeit, dass die Jüngeren mal was tun,… was ich die letzten Jahre geleistet habe, reicht für zwei Leben, … die werden schon noch sehen was sie an mir hatten wenn ich nicht mehr da bin, wahrscheinlich steht das Telefon nicht still, … ich habe mir den Ruhestand so was von verdient, gut das ich noch gesund bin und ihn genießen kann.“
Es gibt sie, diese Misanthropen, die voller Selbsthass auf ihre Mitmenschen sind und deshalb ganz gut alleine und ohne Anforderungen von außen auskommen. Sie sind jedoch rar gesät und wirklich erstrebenswert ist diese Lebensform auch nicht.
Der Schlüssel zu einem guten Rentnerdasein ist wie bei so vielen Dingen die richtige Balance, hier der zwischen Anforderung und Überforderung.
Sie brauchen soziale Teilhabe und es ist schön, auch im Alter noch das Gefühl zu haben gebraucht und gehört zu werden. Dies ist jedoch kein Selbstläufer und mit der Auseinandersetzung des Themas sollten Sie schon vor Renteneintritt beginnen.
Bleiben Sie neugierig und aufgeschlossen für Veränderungen, pflegen Sie alte- und schmieden Sie neue Kontakte, helfen Sie da, wo ihre Hilfe gebraucht wird, ohne den Anspruch zu haben es besser zu können oder zu wissen. Pflegen Sie alte Hobbies oder suchen Sie sich ein Neues. Vielleicht lernen Sie auch ihren Partner neu kennen und entdecken, dass er ganz nett ist ;-). Last but not least, erinnern Sie sich an all die Vorhaben, die Sie in die Zeit des Ruhestandes verschoben haben. Aber, bewerten Sie sie neu! Was davon wollen Sie wirklich gerne machen? Die Interessen ändern sich und verbissen an etwas festzuhalten, nur weil man es sich vor langer Zeit vorgenommen hat, ist falscher Ehrgeiz.
Nehmen Sie sich Zeit, sich an den neuen Rhythmus zu gewöhnen. Es darf sein, dass man der vergangenen Zeit nachtrauert. Es ist schließlich ein neuer Lebensabschnitt der eine ganz neue Struktur erfordert. Mit der richtigen Einstellung, ganz viel Geduld und noch mehr Humor, könnte dies jedoch einer der besseren Abschnitte Ihres Lebens werden.
Wenn die neue Situation Sie überfordert und Sie die weiter oben beschriebenen Symptome erkennen, oder wenn Sie jemanden kennen der unter der Umstellung leidet, scheuen Sie sich nicht, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dies ist kein Zeichen von Schwäche, sondern weitsichtig. Ich helfe Ihnen gerne dabei, die Gedanken zu ordnen und wieder in die eigene Kraft zu kommen. Bevor Sie trübsinnig Ihre und die Zeit ihres Partners vergeuden, melden Sie sich. Gemeinsam finden wir einen Weg.
Ich wünsche Ihnen wie immer, Glück und Zuversicht, bleiben Sie gesund,
Petra Radermacher