Vom traumatischen Erlebnis zur posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
Wenn wir derzeit die Bilder aus den vom Hochwasser heimgesuchten Gebieten sehen und Berichte von Betroffenen hören, fragen wir uns, was kann ein einzelner Mensch ertragen?
Eine pauschale Antwort hierauf gibt es nicht. Es kommt auf viele begleitende Faktoren an.
Wie stabil ist mein Umfeld, wie groß ist der Lebenswille, erlebe ich mich selbstwirksam?
Übersetzt auf die Hochwasserkatastrophe bedeutet dies: Ist mein Umfeld in Gänze betroffen oder habe ich Zugang zu Inseln der Normalität? Habe ich Partner, Kinder, Freunde für die sich der Einsatz lohnt oder ist mir der/die/das Liebste genommen worden und somit auch der Lebenswille? Erlebe ich meinen Arbeitseinsatz als zielführend, die Situation verbessernd, aufbauend oder ist es eher mutraubend, da es nicht zu einer Verbesserung der Situation führt, keine oder zu wenig Unterstützung angeboten wird und die Aussicht auf ein normales Leben weit entfernt scheint?
Nicht zuletzt ist auch die persönliche Belastbarkeit in Form von Alter, Gesundheit und Resilienz (salopp übersetzt „Steh-auf-Männchen-Qualitäten“) wichtig für den Umgang mit solchen Ausnahmeerlebnissen.
Hilfreich ist sicher ein „Wir-Gefühl“, wir stehen zusammen, wir schaffen das, wir sitzen in einem Boot… und natürlich auch die große Solidarität von außen, in Form von tatkräftiger Unterstützung, Organisation von Sachspenden, große Geld-Spende-Aktionen privater aber auch medialer Art.
Doch wie lange trägt dies alles? Die Angst davor, dass nach dem Rückzug der Medien das Interesse und damit auch die Unterstützung aufhört, ist sicher nicht unbegründet.
Das Wir-Gefühl bröckelt dann, wenn die Unterschiede im Grad der Auswirkungen auf die persönlichen Lebensgrundlagen sichtbar werden, wenn die einen verständlicherweise versuchen, zu einem neuen Alltag überzugehen und die anderen noch immer vor den Scherben ihrer Existenz stehen und im schlimmsten Fall Angehörige zu beklagen haben.
Dann, wenn jeder wieder ganz alleine verantwortlich ist für sein Leben, wenn die meiste Arbeit getan- und ein halbwegs normales Leben eingekehrt ist, kommen die Bilder des Erlebten zurück. Dann zeigt sich, wie angegriffen die Seele ist, ob und wieviel Hilfe gebraucht wird.
Wie stelle ich nun fest, dass ich Hilfe brauche?
Es beginnt mit der akuten Belastungsreaktion. Sie tritt unmittelbar bis wenige Stunden nach einem traumatischen Ereignis auf und hält in wechselnder Ausprägung nicht länger als einen Monat an. Dabei sind Symptome wie unkontrollierbare, beeinträchtigende Erinnerungen an das Geschehene auch in Form von Träumen bis hin zu s.g. Flashbacks möglich. Unter Flashbacks versteht man, ausgelöst durch an das Ereignis erinnernde Geräusche oder andere Sinneswahrnehmungen, ein Gefühl des sich Wiederholens des traumatischen Erlebnisses, einhergehend mit körperlichem und seelischem Leid. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, positive Emotionen zu erleben. Sie empfinden Benommenheit, alles scheint irgendwie zeitverzögert, sind reizbar, schreckhaft und übertrieben wachsam in Bezug auf mögliche Gefahren. Einzelne Aspekte des Unglücks werden nicht mehr oder nur verändert erinnert und es kommt zu Vermeidungsstrategien in denen Orte und Menschen die mit dem Erlebten in Zusammenhang stehen gemieden werden.
Körperliche Symptome wie bspw. Schlaf- und Konzentrationsstörungen können auftreten.
Erholung tritt meist ein, wenn die Möglichkeit besteht, die belastende Situation zu verlassen und über das Erlebte mit verständnisvollen und empathischen Zuhörern zu sprechen. Handelt es sich um eine dauerhafte Belastungssituation, so ist es für die Genesung entscheidend, dass man Inseln von Normalität im Außen aufsucht um immer einmal wieder zu erleben, dass es sich um eine, wenn auch schwer aber doch zu bewältigende und vorübergehende Belastung handelt. Diese Inseln können Freunde oder Verwandte sein, die einen Rückzugsort anbieten, aber auch ein Arzt und/oder Therapeut, der Entlastung bietet. Selbstfürsorge ist hier nicht egoistisch oder ein Zeichen von Schwäche, sondern kennzeichnet vorausschauendes Handeln, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu vermeiden.
Diese Verschlechterung kann bspw. zu einer posttraumatischen Belastungsstörung oder zu einer Anpassungsstörung führen.
Die Anpassungsstörung tritt kurz nach dem belastenden Ereignis auf und dauert bis zu 6 Monate nach Ende der Belastung. Es gibt unterschiedliche Erscheinungsformen aber meistens geht sie einher mit depressiver Stimmung und Angst bis hin zu einem erhöhten Suizid-Risiko. Sie ist gekennzeichnet durch eine in keinem üblichen Verhältnis zum Auslöser stehenden Belastungsreaktion, die das soziale und berufliche Funktionieren in erheblichem Maße beeinträchtigt. Da hier erhöhte Suizidgefahr besteht, ist medizinische und/oder psychotherapeutische Hilfe dringend angezeigt.
Die posttraumatische Belastungsstörung setzt innerhalb von 6 Monaten nach einem überwältigenden traumatischen Erlebnis ein. Häufige Ursachen von PTBS sind Kampf, sexuelle Übergriffe, Natur- und andere Katastrophen. Die Symptome sind meist die Fortsetzung einer akuten Belastungsstörung, können aber auch mit Verzögerung Monate bis Jahre nach einem traumatischen Ereignis auftreten. Die Störung kann von einem Monat bis hin zu einer chronischen Verfestigung anhalten. Die durchschnittliche Dauer beträgt mit adäquater Behandlung 36 Monate, ohne Behandlung durchschnittlich 64 Monate. Bei über Jahre anhaltendem Verlauf kommt es in ca. 30 % der Fälle zu einem chronischen Verlauf. Bei Patienten mit einer chronischen PTBS sind Angststörungen, Depressionen und Substanzmittel-Missbrauch verbreitet. Die Symptome sind ähnlich wie die der akuten Belastungsstörung, variieren jedoch in ihrer Heftigkeit und Auswirkung auf das soziale- und berufliche Leben. Die PTBS ist eine schwere psychische Störung, die häufig chronisch verläuft. Die Betroffenen durchlaufen in Form von Flashbacks immer wieder ihr traumatisches Erlebnis. Im Laufe der Zeit steigt das Suizid-Risiko immer mehr.
Das war wirklich sehr viel Theorie. Ich hoffe dennoch, dass der ein oder andere gerade in Anbetracht der gegenwärtigen Naturkatastrophe mit all ihren schrecklichen Folgen für die Menschen und die Region in der sie leben, bis zum Ende durchgehalten hat.
Vielleicht erkennt er bei sich oder bei Menschen in seinem Umfeld Hinweise auf eine Belastung die mehr Hilfe bedarf, als die ansonsten durchaus praktikable und gesunde Lebensart des Rheinländers und seinem Grundgesetz … et hätt noch immer jot jejange…
Dann hoffe ich, dass dies dazu führt, Hilfe in Anspruch zu nehmen, bei einem Arzt, einem Seelsorger, einem Psychotherapeuten oder einem Heilpraktiker/in für Psychotherapie, gerne bei mir oder einem/r KollegIn. Eine erste Beratung ist wie immer kostenlos und zeigt zumindest schon einmal mögliche Wege auf. Besondere Zeiten erfordern besonderes Vorgehen, bei beschränkten finanziellen Möglichkeiten finden wir einen Weg, gerne auch online.
Sprechen Sie mich an.
Ich wünsche Ihnen diesmal Resilienz, Durchhaltevermögen, psychische und körperliche Gesundheit sowie ganz viel Zuversicht
Petra Radermacher